Zwischen den Genres

Über Beppo Beyerls Bücher

von Rudolf Kraus

Beppo Beyerl hat mit „Als das Lügen noch geholfen hat“ seinen ersten Roman vorgelegt; eine Tatsache, die nach Erzählungen, einer Novelle und einer Vielzahl unterschiedlichster Texte längst fällig und aus seiner Sicht notwendig war. Wir verdanken diese Tatsache auch dem Chefredakteur der Wiener Zeitung Andreas Unterberger, der Grund dafür ist, dass Beppo Beyerl nicht mehr für diese Zeitung tätig ist. Seine zum Teil bereits legendären Reportagen, die vor allem im Feuilleton „Extra“ erschienen sind, werden wir im Blätterwald vermissen, aber zum Trost sei erwähnt, dass Beyerl nun mehr Zeit zum Schreiben von Büchern hat.

Wer ihn kennt, ist nicht verwundert, dass dieser Roman die Familiengeschichte einer tschechischen Familie in Wien behandelt. Genauer gesagt in Wien Hütteldorf und im Besonderen die Hütteldorfer Koteesch (der Beyerl im Anhang ein bemerkenswertes Glossarium anfügt und die möglicherweise nur Fiktion ist).

Beyerl ist 1955 in dieser Gegend geboren (exakt in Wien-Hadersdorf, wo er als Fußballer bei Key & Kramer Hadersdorf sowie beim SV Mauerbach tätig war. Nicht zuletzt dadurch entwickelte sich bei ihm eine gewisse Zuneigung zum bekanntesten und erfolgreichsten österreichischen Fußballverein, der in Wien-Hütteldorf angesiedelt ist. Diese Gunst nebst der Vorliebe für böhmisches Bier teilt der Verfasser dieser Zeilen mit Beppo Beyerl mit lässiger Ungezwungenheit).

Er erzählt in 43 Episoden die Geschichte der Familie Petzl, die von Karlsbad nach Wien führt, und von einfachen Leuten, von Rückschlägen und kargen Lebensumständen, aber auch von Freuden und Hoffnung handelt.

Ein nahezu allwissender Erzähler aus dem Off führt durch das Buch, blendet nach vor und rückwärts, blendet aus, führt in die Irre und wieder zurück, verliert den Faden, lässt ihn aber nie los und am Ende ist vieles klarer, durchschaubarer, weil die Freiheit des Erzählers (die auch kleine fiktive Unschärfen erlaubt, sei es bei historischen Geburts- oder Sterbeorten, das möchte auch ich offen lassen) Sichtweisen öffnet und Türen schließt, wo es notwendig ist. Der Germanist Müller-Funk nennt dies „elliptischer Stil“ (unvollständiger oder verkürzender Stil), was kurz erklärt bedeutet, dass bestimmte Wörter oder Wortteile weggelassen, aber meist zweifelsfrei sinngemäß ergänzt werden können.

In beinahe jeder Szene dieses Romans ist der feine, hintergründige Humor Beyerls zu spüren, der auf Hašek und Hrabal verweist.

Wobei man bei tieferer, engerer Betrachtung des Beyerlschen Werkes sehr eindeutig einen neuen, legitimen Nachfolger Bohumil Hrabals entdecken kann, wobei Beyerls Biographie zwar weniger historische Großereignisse aufweisen kann, aber nichtsdestotrotz eine gehörige Portion Eigenwilligkeit und Humor besitzt.

„Freilich bessere Chancen für den Heiland in Deutsch-Altenburg, weil dort breites Band der Donau, und im Wechselgebiet nur ein paar mickrige Gebirgsbäche, so fuhren die Mälzers jeden Sonntag nach Deutsch-Altenburg, der Mälzer trank dort ein Viertel nach dem anderen, um seine Kenntnisse der Gewässerkunde zu vertiefen.“

In diesem Sinne möchte ich noch auf weitere Bücher von Beppo Beyerl hinweisen, die diesen Roman ergänzend begleiten können.

In Die Wiener Krankheit erzählt er vom Masseur Jirschi Beran, der zudem Tscheche ist und am Stadtrand von Wien bei Frau Hermi zu arbeiten angefangen hat. Sozusagen als Körper- und Seelenmasseur. Jirschi wird tagein, tagaus mit den Ausformungen der österreichischen Seele und dem goldenen Wiener Herzen konfrontiert. Da werden Lügen aufgetischt, die diese ewige Opferrolle der Österreicher unter den Nazis festschreiben. Ganz nebenbei erfährt er den alltäglichen, ganz gewöhnlichen Wiener Fremdenhass, der im Grunde niemanden verschont.

Ein Sparbuch sorgt plötzlich für glänzende Aussichten, doch Jirschi Beran ist ein Tscheche ganz im Sinne Čapeks. Also wird es nichts mit dem erhofften Reichtum. Jirschi bleibt arm und Wien bleibt Wien. Er besteigt den Zug Richtung Böhmen und denkt an eine Heimkehr beim Klang der böhmischen Sprachmelodie.

Voller Sprachwitz und mit dem geschulten slawistischen Feingefühl legt Beppo Beyerl eine Satire vor, die einerseits mit österreichischen Paradeklischees spielt und auf der anderen Seite den böhmischen Witz hervorkehrt, den der Autor bestens kennt. Eine feine Unterhaltung, die sich mit fein-bittrigen Geschmack an den Gaumen schmiegt, wie ein Krügel Budweiser frisch vom Fass. Eben ein kurzweiligen Vergnügen, von dem man manchmal nicht genug kriegen kann.

Das Abseits hat mehrere Bedeutungen, für viele ein Synonym für Fußball, „wo man aus dem Abseits auch Tore erzielen kann“ (Zitat Beppo Beyerl), doch in dem vorliegenden Band handelt es sich eher um entlegene Gegenden, um etwas, das fern von Zentren liegt oder das einfach beiseite geschoben wurde.

Auf seinen Streifzügen ausgehend von Wien zieht es Beppo Beyerl immer wieder gen Osten, vor allem in den slawischen Raum. Die 19 Geschichten aus dem Abseits sind aber in erster Linie in Österreich angesiedelt und zwar diesseits der Grenze zum Osten. Das Waldviertel spielt dabei keine unwesentliche Rolle, aber auch Wien und das Burgenland kommen nicht zu kurz. Alle Geschichten tragen einen historischen Kern in sich, das heißt die Geschichten setzen sich aus historischen Fakten und Recherchen zusammen und ziehen daraus ihre Conclusio. Manchmal hat sowohl der historische Hintergrund als auch die Schlussfolgerung einen beklemmenden, schonungslosen Charakter, wie vor allem die Geschichten aus dem ersten Kapitel „Von Lagern, Wundern und Engeln“ zu berichten wissen. Da berichtet der Autor von Selbstbeweihräucherung des Heeres im sogenannten Museum, wo Ehre und Ruhm in Leichen aufgewogen wird. Und das Schicksal einzelner Personen und beinahe ganzer Volksgruppen liegt Beppo Beyerl immer wieder am Herzen und er tut seines dazu, damit so manches nicht in Vergessenheit gerät oder schon geraten ist. „Das Lager von Gmünd“ erzählt in besonders beklemmender Weise vom Schicksal im Lager internierter Ruthenen und Juden im 1. und 2. Weltkrieg. Beppo Beyerl ist ein blendender Erzähler, der in seinen Geschichten Geschichte vermittelt, die ja bekanntlich von sich aus schon spannend genug ist.

Meine Lieblingsgeschichte in diesem Band ist „Im Bett des Wienflusses“, die eine Wanderung in hohen Stiefeln von Hadersdorf ausgehend bis zum Stadtpark im Flussbett des Wienflusses in köstlicher Weise beschreibt: als Reiseführer der besonderen Art, als topographische Geschichte und leicht wehmütige Reflexion über den Lauf der Zeit und zu guter Letzt als „historische Kurzgeschichte“ erfunden und erzählt von Beppo Beyerl.

Das Bändchen Thaya kann einerseits als poetisches Geschichtsbüchlein mit mancherlei kultur- und religions-historischen Einschlägen gesehen werden. Andererseits geht es als reiner Gedichtband mit vielen Fotos von der und rund um die Thaya ebenfalls durch. Die Gemeinsamkeit dabei ist, dass es ein schönes Buch geworden ist, so oder so. Interessanterweise wird die kundige Leserin dazu meinen, dass es nahezu schon ein erotisches Unterfangen ist, von Beppo Beyerl einen Gedichtband zu lesen, denn das war nun schon gar nicht zu erwarten.

Nun gut, von Anfang an sprudelt, tröpfelt, gluckst und tümpelt die Thaya, ob Deutsche oder Mährische, aus den Zeilen und bildet ganz beiläufig Geschichten, Schicksale oder Grundlagen für Unvermutetes. Viele der Gedichte bieten im Anhang eine historische Aufklärung zu einem oder mehreren Bezugspunkten, die in den Versen liegen. So werden in unordentlicher Reihenfolge Robert Hamerling, Wilhelm Szabo, Johann Nepomuk, zwei Schweinebarone und der höchst problematische Heimatdichter Hans Giebisch in Bezug zur Thaya gebracht, wobei das Bild des miserablen Heimatdichters und veritablen Nazis [© Beppo Beyerl] hier ordentlich zurecht gerückt wird.

Die Gedichte sind oftmals von einer klaren fast metapherfreien Sprache getragen, was sie ohne Schnörkel und Schnösel dem Klang eines Flusses entsprechend klingen lässt. Doch manchmal lockt das Dunkle, das so manche lyrische Seele fremdartig erhellt, auch den Dichter hier: „tief unten dort im Grunde / der Seele dunkelts sehr / die Dunkelheit die bildet / das dichte Nebelmeer / die Finsternis die steiget / ins Hirn so lahm und leer“.

Die Texte sind  durchgehend mit kongenialen SW-Fotos von Andreas Ortag begleitet, der diese hauptsächlich mit einer selbstgebauten Pinhole-Kamera geschossen hat.

 

Von Beppo Beyerl gibt es nicht nur literarische Werke, sondern auch sogenannte Sachbücher, wie zuletzt einen Heurigenführer Wien (Ausgsteckt is!), ein Eisenbahnbuch (Die Eisenbahn - Historische Weichenstellungen entlang des österreichischen Schienennetzes), über die Beneš Dekrete (Die Beneš Dekrete) und einen Sprachführer für Wienerisch (Wienerisch, das andere Deutsch).

 

Bibliographie zu den genannten Büchern:

Beyerl, Beppo: Als das Lügen noch geholfen hat.

Roman. Wien: Molden, 2007. 285 S. € (A) 19,90.

ISBN 978-3-85485-215-5.

 

Beyerl, Beppo: Die Wiener Krankheit.

Ein Tagebuch. Linz [u.a.]: Resistenz-Verl., 2000. 83 S.

 

Beyerl, Beppo: Geschichten aus dem Abseits.

19 Streifzüge von Ost nach West.

Wien: Theodor Kramer Gesellschaft, 2001. 151 S. € 15.00.

 

Beyerl, Beppo: Thaya.

Sprudelnde Texte aus 12 Monaten über 78 Kilometer. Mit 23 Photos von Andreas Ortag.

Wien: Edition Doppelpunkt, 2002. 63 S. € (A) 15.

Literatur und Kritik, 423/424, Mai 2008

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