Bücherschau 203/2014
Kraus,
Rudolf - ein ende ist nicht abzusehen
Verdammt gute
Papierschiffchen gegen die unabänderlich ratternden Prosapanzer
„meine
poesie / soll ein gebüsch sein / zum /verstecken / dicht am bach // wenn die
soldaten kommen / und ihre panzer prosaisch / durch die straßen rattern //
werde ich / papierschiffchen / mit meinen gedichten / in die welt / hinausschicken“. So beschreibt
Rudolf Kraus in dem programmatischen „Mein Gedicht“, wie es sich gehört:
in einem Gedicht, poetisch sein Schreiben, seine Poetologie. Papierschiffchen
gegen die unabänderlich ratternden Prosapanzer.
In seinem neuen Buch erweist er sich aufs Neue als ein Lyriker, der Eindrücke,
Bilder, Wahrnehmungen, Erlebnisse wie Schnappschüsse in knappe konzise
Wortformen fasst, je nachdem intensivierend oder luftig offenlassend. Seine
bevorzugte Form ist solcherart das Kurzgedicht, das Epigramm, manchmal die
Anekdote oder einfach, wie die Gattungsbezeichnung dieses Bandes lautet:
Sprachminiaturen.
Die Sprachspiele hierin haben in ihrem jeweiligen „wortgewand“ wie „jede
betrachtung […] / mindestens / zwei seiten / mindestens“. Schön sind vor
allem die Gedichte, in denen er sehr persönliche Bilder zeichnet, wenn er
etwa von seinem Vater träumt, oder von seinem Leben in Bad Fischau 1968 erzählt,
einer „welt / in der ich nicht sein konnte / wie ich war / weil es nicht
sein konnte / dass jemand so war / wie es nicht sein durfte“.
Jedoch: „stünde die frage / nach dem warum / gar nicht im raum // ich wäre
der / der ich wär‘ // so bin ich / nur ich“. Die Gedichte sind oft wohlig
getränkt in Melancholie und Fatalismus, um „trunken fast weise / das
sterben [zu] üben“, weil „traurig / bin ich sowieso“. Doch immer wieder
wird diese drohende Schwere aufgehoben durch Ironie und hintersinnigen
Sprachwitz. Denn schließlich, Rudolf Kraus, der Dichter, weiß es ja:
„immer / wenn ich übers / ziel hinaus schieße / bin ich / verdammt gut“.
Ja, das sind verdammt gute Gedichte.
Georg Pichler
GEGENWARTSLITERATUR
2283 - BUCHKULTUR
ein
ende ist nicht abzusehen
Lyrik
liefert nicht nur einen Inhalt, den man als Gedichte bezeichnen könnte,
sondern auch eine Verfahrensweise, mit der sie sich Rückschlüssen zu
entziehen versucht. Es gilt so etwas wie ein Informanten-Schutz und das
lyrische Redaktionsgeheimnis. Rudolf Kraus setzt seine Texte in die Klusen
zwischen den Gattungen. Was in Ritzen eines lyrischen Geflechts entsprießt
ist nicht Lyrik und nicht Epik, wie Beppo Beyerl im Vorwort feststellt, es
sind Intarsien des ertappten Augenblicks. „Die Sprache kommt sich selber auf
die Schliche. Und sie sagt gar nicht auweh, wenn sie dabei erwischt wird.“
Im
aktuellen Fall tragen die Sprachminiaturen wie verlässliche Sendungen Überschriften:
„mehr genitive / wortgewand / die bozner miniaturen / nachtschatten
apokalypse“. Diese vier Kapitel sind auch das Programm, es geht um
sprachliche Zustände, um die Gestalt des Wortes, um Situationen, die eine
Stadt über das lyrische Ich zu kübeln vermag und um diese Nächte, die
stracks in die Apokalypse führen.
„traurig
// immer öfter / muss ich weinen // über schicksale fremder / menschen / die
mir nahegehen // über plötzlich / hereinbrechende melanchonie // unvermutet
/ schießen tränen in die augen // und traurig / bin ich sowieso // [wien,
15.02.2009]“ (16)
Zwar
wird die Situation durch Fixierung auf Zeit und Ort eingegrenzt, aber der
Zustand der Traurigkeit lässt sich durch diese Maßnahme nur inventarisieren,
nicht verändern.
In
Sprachminiaturen lässt sich freilich auch eine ganze Literaturgeschichte
darstellen. „schicksal [österreich] 2 // handke aufs herz / hab mich nie
mit rühm / bekleckert / fried sei mit mir / schwab drüber // [wien,
13.11.2009]“ (22)
Am
Beispiel der „bozner miniaturen“ tut sich eine Stadtbesichtigung der
anderen Art auf. Regen, Erinnerungstäuschung, Wolfsgeheul und alle lyrischen
Beiklänge werden aufgeboten, um das lyrische Ich in einem unguten Ambiente zu
verfestigen, in das man es offensichtlich dienstlich oder sonst wie quälend
verfrachtet hat. Dutzende Genitive wünscht das aufgebrachte Ich aus Bozen
seiner Geliebten nur mit dem einen Wunsch, „du wärst hier“. (63)
Vielleicht
genügt das Anspielen eines Ortsnamens, um eine Apokalypse auszulösen,
Zistersdorf ist so ein magischer Ort, in dem die Gedanken zu einem einsamen
Lied verklumpen. „i'm so lonesome i could cry // ich werde betrunken / von
dem lied / dass ich weinen könnte / schreien war nie / meine stärke /
heimlich und leise / trunken fast weise / das sterben üben // [zistersdorf,
30.10.2010]“ (87)
Rudolf Kraus speichert seine Sprachminiaturen auf unscheinbaren Medaillons, die um die eigene Erinnerung getragen plötzlich aufgehen,
wenn
die Seelenwitterung passt. - Eine feine Form, Poesie durch die Zeit zu retten.
Rudolf
Kraus: ein ende ist nicht abzusehen. Sprachminiaturen. Mit einem Vorwort von
Beppo Beyerl.
Wien:
Verlagshaus Hernals 2013. 90 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-902744-80-7.
Rudolf
Kraus, geb. 1961 in Bad Fischau, lebt in Wien.
Helmuth Schönauer 20/08/14
Podium 171/172 - 2014
Die Verknappung, die Beppo Beyerl dazu bringt, im Vowort von Sprachminiaturen zu sprechen,
funktioniert am besten, wenn der Galgenhumor in Rudolf Kraus überhand nimmt.
(immer mache / ich etwas / verkehrt / zeit / mich /umzudrehen).
Beatrix Kramlovsky