http://poet-in-residence.blogspot.co.at/2012/08/haiku_31.html
japanische miniaturen.
Mödling/Maria Enzersdorf: Edition Roesner, 2011.
96 Seiten; broschiert; Euro 14,80.
ISBN 978-3-902300-59-1.
Link zur Leseprobe
Heute schon einen fernöstlichen Dreizeiler verspeist? Nein? Dann mag es Zeit sein für die Lektüre eines fröhlichen Ironikers aus Niederösterreich, des 1961 in Wiener Neustadt geborenen Lyrikers Rudolf Kraus.
Puristen unter den Kennern und
Liebhabern japanischer Miniaturen werden an den mundgerecht servierten
literarischen Häppchen schnuppern, vielleicht noch zögernd hineinbeißen
– nur schlucken werden sie das nicht, was ihnen der Autor da serviert. Zu
wenig entsprechen diese Verbalkulinarien dem, was sie erwarten: form- und
inhaltsstrenge Naturgedichte, tausendfach genossene Dutzendware aus der Fünf-Sieben-Fünf-Retorte,
abgeschmeckt mit einem Jahreszeitenwort, einem Hauch Esoterik und demjenigen
Gaumen angepasst, der keine wirkliche Geschmacksveränderung mehr sucht.
Kraus’ Haiku sind anders. Zunächst einmal sind sie mehrheitlich
eigentlich keine Haiku, sondern Senryu. Die Form derselben ist vordergründig
die gleiche. Ihr Inhalt aber kann alles Mögliche zum Thema haben, und das
kommt der frei schweifenden Phantasie des Autors dann doch schon eher
entgegen. Rudolf Kraus bricht die äußere Form des Dreizeilers
augenzwinkernd gerade dadurch auf, dass er sie konsequent beachtet, wie es
heute kaum noch ein „ernsthafter“ Haijin, also ein Verfasser von Haiku,
tut. Er füllt diese Form jedoch vorrangig mit Themen, die so gar nichts mit
der naturverbundenen oder dem augenblicklichen Erleben huldigenden Tradition
zu tun haben:
nur abstand halten
etwas verhalten bei der
menge an falten
(S. 66)
Das aber macht Räume auf für eigene Lesarten und das innere Weiterdichten, was durchaus wieder im Sinne der ursprünglichen japanischen Kurzform ist. Und der wörtlichen Übersetzung des Begriffs Haiku (zu deutsch: lustiger Vers) werden auch viele der Kraus’schen Miniaturen gerecht:
Wachauer Marillenschnapshaiku
hab feuer im arsch
sieben schnäpse als wahre
brandbeschleuniger
(S.77)
oder aber auch:
viertes bier vor mir
jetzt sieben silben später
kommt bier nummer fünf
(S.68)
Man kann sich vorstellen, wie solche Sprachgebilde entstanden sein mögen. Hier kombiniert jemand die heimatliche Beisl-Tradition mit dem Kulturgut eines anderen Erdteils. Darf denn so die literarische Globalisierung aussehen? Warum nicht! Es bleibt ja nicht bei solchen (freilich nur vordergründig) belanglos wirkenden Gedichten. Kraus schwingt sich mitunter ganz unvermittelt auch zu sehr ernsthaften Zeilen auf:
das leben wie blei
ein tag wie der andere
hinter dir der tod
(S.34)
oder:
wen kümmert das schon?
funkenflug im lungenzug
schon zentralfriedhof
(S.49)
Gern reflektiert Kraus auch die formalen Aspekte des Haiku, vielleicht auch aufgrund der Verzweiflung, die den mitteleuropäischen Autor angesichts der Tatsache packen kann, dass es im Deutschen nicht annähernd so viele Homonyme, Homographe und Homophone gibt wie im Japanischen, und es also unendlich viel schwerer ist, in unserer Sprache ein wirklich großartiges Haiku zu erschaffen. Die „Kapitulation“ vor dieser Gegebenheit klingt dann beispielsweise so:
eins zwei drei vier fünf
in zeile zwei steht sieben
eins zwei drei vier fünf
(S.10)
Post-Dada-Fluxus-Bezüge verarbeitet der niederösterreichische Lyriker ebenso wie anglizistische Einsprengsel und ruft damit die gesamte Bandbreite zeitgenössischen Sprechens auf. Das alles geschieht in scheinbar unmotivierter Folge, die den Leser verwirren, verstören und vielleicht auch verärgern mag. Doch wo steht geschrieben, dass man mit Haiku nicht auch provozieren kann?
ich spucke tinte
in dein dämliches gesicht
erbärmlicher wicht
(S. 16)
Das kann man für sich genommen auch als Publikumsbeschimpfung verstehen.
Die etwas lieblose
Darreichungsform der japanischen Dreizeilersammlung auf einem
knochenbleichen Papier, das eher für eine technische Betriebsanleitung
geeignet gewesen wäre, scheint sich ebenso gegen die optisch-haptische
Rezeption zu sperren wie der unkonventionelle Gehalt der Haiku. Irgendwie
ist das dann ja auch wieder konsequent.
Mag seine Interpretation der japanischen Gedichttradition letzten Endes auch
Geschmackssache sein – aus den Versen Rudolf Kraus’ spricht das
unverbraucht-freche Selbstbewusstsein eines Autors, der es wagt, einer
beliebten, inzwischen weltweit verbreiteten lyrischen Form seine ganz
individuelle Würze zu verabreichen. Itadakimasu – guten Appetit!
Marcus Neuert
Buchmagazin
Literaturhaus Wien
Podium 165/166 - 2012
BÜCHER
Rudolf
KRAUS: mein
haiku schmeckt gut. japanische miniaturen
Edition
Roesner, artesLiteratur,
Mödling
2011
Kraus
schreibt alles in Kleinbuchstaben, was der Haiku-Tradition der grammatischen
Unvollständigkeit entgegenkommt. Er setzt sich mit dem Medium selbst
auseinander, ver-
fasst
sozusagen Metahaiku:
ich
schreibe haiku
bin
aber kein japaner
zählen
kann ich schon
Dieser
Vers könnte als Motto für das ganze Buch stehen: Geht es gegenwärtig in der
allgemeinen Diskussion hauptsächlich um die Form: 17 Silben oder nicht?, so lässt
sich Kraus
weder
Gedanken noch Gefühle einer ihm fremden Kultur aufzwingen. Er versucht erst gar
nicht, ,,japanisch” zu denken und wirft eine Reihe bisher sakrosankter
Haikuregeln über Bord. Sogar Reime kommen vereinzelt vor und man weiß nicht
recht: unabsichtlich oder als Ironie? Viele der Texte haben Überschriften oder
Widmungen, darunter ein sehr berührender für den Dichter Karl Krolow (gest.
1999). Vom Inhalt her sind die Texte von dynamischer Individualität. Wir haben
es mit sehr persönlicher expressiver Dichtung zu tun, deren Grundton selbst in
der Ironie eher resignativ bleibt; stets klingt der Zwiespalt zwischen Sprechen
und Verstummen durch. Die Kürze japanischer Formen bietet sich da an:
jeder
dreizeiler
verbirgt
eine ganze welt
du
musst nur lesen
Die
Gestaltung des Büchleins lässt leider zu wünschen übrig: Auf jede Seite nur
einen Text zu schreiben, ist für Lesen und Nachdenken förderlich, aber warum hängen
die Zeilen so weit oben? Und das (ästhetisch untadelige) Umschlagbild, die Büste
einer unbekleideten, japanisch wirkenden Frau von hinten, passt weder zum Titel
noch hat es viel mit dem Inhalt zu tun.
Insgesamt
ein Werk, das das derzeitige diskursive Gespräch über japanische Textformen
sicherlich weiter beleben wird.
TRAUDE
VERAN
Christel Schweitzer auf Buchkritik.at:
http://www.buchkritik.at/kritik.asp?IDX=6034
Der hat leider meist gefehlt, obwohl, falls vorhanden, unfreiwillig oder nicht, waren dies die besten Haikus. Z.B. mein Lieblingshaiku von Seite 73 als nicht vollzogene, weil nicht mögliche, Verbrüderung des überheblichen, schunkelnden Mitteleuropäers mit dem kalten Japaner: mein haiku schmeckt gut / kalter japanischer fisch / haikuschubidu.
Eva Riebler auf LitGes, Mai 2012