Der Klang des Fuurin
Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, dass Haiku
nicht als richtige Bezeichnung für Kraus’ neueste Gedichte bestehen kann. Dessen
strenge inhaltliche Vorgaben nämlich kategorisch ignorierend, tänzeln diese hier
vorliegenden meist filigranen, von jeglicher Theatralik befreiten Siebzehnsilber
mehr wie ein sanft bewegtes Windspiel in den Seiten des Buches, in ihrem, wie
auf dem Cover angedeutet, Kirschgarten. Möchte ich also für Rudolf Kraus’ neue
Gedichte einen Begriff finden, will ich sie benennen, würde ich Fuurin, das
japanische Wort für „Windspiel“, wählen, handelt es sich doch um eine neue, vom
klassischen Haiku abgeleitete, eigenwillige Form desselben. Einem kindlichen
Wesen gleich bezaubern diese jeder inhaltlichen Schwerkraft enthobenen Fuurin
durchweg mit ihrer Offenheit und ihrer Furchtlosigkeit, mit der sie sich trotzig
den großen Themen des Lebens stellen – um im nächsten Moment mit einem
unerwarteten Hakenschlag das clowneske Element der Brutalität des Daseins
angesichts der nie zu ertragenden Gewissheit unseres Todes hervorzukehren.
Momente der alkoholgeschwängerten Einsamkeit, die Hinterhöfe der Großstadt, das
kleine Elend, das die Werktätigen mit der Zeit erwürgt, die schreckliche
Erkenntnis des Alterns, die Unerfüllbarkeit unserer glosenden Sehnsüchte – es
sind die kleinen Tragödien, die uns mit der Zeit auffressen. Rudolf Kraus führt
seiner Leserschaft vor, wie man es zuwege bringt, sich selbst trotz aller
Widrigkeiten nicht allzu wichtig zu nehmen. Diese Grundeinstellung hilft, wie
ich unbeirrbar meine, im Allgemeinen schon ein ganzes Stück weiter, für den
Fall, dass man eine bessere Welt anstrebt. Am Leben scheitern wir alle, aber
wenn, dann bitte mit selbstironischer Würde.
In „die letzte frage der menschheit“ findet es sich bereits im Titel: Denn die Namensgleichheit mit einem ganz Großen des österreichischen Literaturkanons verführt freilich zum Spiel damit, große Kunst aber ist es, aus diesem Spiel gleich noch ein Spiel zu machen. Denn dieses Mammutprojekt, diese allerletzte Frage der Menschheit, fragt Kraus, ist sie Schein oder Nichtschein? Kann man sie denn überhaupt stellen? Und wenn ja, wer soll sie beantworten? Vor allem aber: Wer soll die Antwort dann noch hören? Können? – Angesichts der tonnenschweren inhaltlichen Aufladung dieser Frage, mit der die Hoffnung auf eine Antwort schon im Keim erstickt wird, ist sie vielleicht doch ganz banal im Klang eines von Rudolf Krausens geistigem Atem sanft bewegten Fuurin zu finden.
https://www.verlagshaus-hernals.at/tag/rudolf-kraus
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die
letzte frage der menschheit
siebzehnsilber. Wien: Verlagshaus Hernals
2020. 100 S. - fest geb. : € 22,90 (DL)
ISBN 978-3-902975-73-7
„jeder dreizeiler / verbirgt eine ganze welt
die gleichzeitig eben auch Dreizeiler
sprachspielerische, anarchische Sprachblitze,
Sticheleien ins Fleisch des Allzubehäbigen,
mich die / letzte frage der menschheit
grundsatz / selbst gegen spötter“.
Rudolf Kraus führt einem in seinen Texten immer wieder
vor, sich trotzdem nicht allzu
konstatieren muss: „trist ist das leben / lauter
Schön auch die kleine Hommage an Peter
Kraus ist es naturgemäß Rapid Wien: „herzog
Georg Pichler
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