Pressestimmen zu "aus der seele brennen"


AUS DER SEELE BRENNEN
Rudolf Kraus
neue sprachminiaturen
Mit Bildern von Kurt Giovanni Schönthaler
Wien: Edition Roesner, 2005. 134 S.
ISBN 3-902300-21-3

TAUSEND SCHRITTE NEBEN MIR
Rudolf Kraus
Liebesgedichte und andere lyrische Miniaturen
Wien: Edition Roesner, 2008. 175 S.
ISBN: 978-3-902300-41-6

Rudolf Kraus wurde 1961 in Wiener Neustadt geboren und lebt als Bibliothekar und Autor in Wien und Bad-Fischau-Brunn. Außer seinem Engagement gegen Rassismus und Intoleranz zeichnet er sich durch Spielerei mit der Sprache aus, die jedoch nie entleerte Worthülsen bietet, sondern stets mit augenzwinkernder Lebensweisheit einhergeht. 

Über das österreichische Schicksal als Autor meint er in: Aus der Seele brennen S. 21: schicksal (österreich)/ es goethe mir brecht/ wäre mir ransmayr nicht passiert/ mitterer wahnsinn/ jandl mich zu tode/ entartmannt. Er beschreibt Höhen und Tiefen des Lebens und ist meist humorvoll im Abklang und Ausklang: ebenda S. 99: paradies: manches mal/ bin ich verrückt/ tanze ich/ als fieberndes zünglein/ auf der waage/ als weiblicher zungenschlag/ wohlgemerkt/ der/ ja/ zum leben sagt. Er schreibt über Sehnsucht und Vergänglichkeit, über Abgründe, Stille und innere Leere und gibt dem Text stets eine überraschende Wende. Der Leser kann sich bis zur letzten Zeile nie sicher sein, ob ihn nicht eine Überraschung erwartet. So bedeutet vielleicht ein ruheloses Lied nicht ein Ziehen in der Seele, sondern eitle Wonne. Ebenda S. 43 in der südtiroler miniatur: kalt warm gibt´s/ maiens primus den/ sonnenhungrigen/ und die waale singen/ ihr ruheloses lied/ von sehnsucht und vergänglichkeit/ einen moment lang/ ist alles eitel wonne. Rudolf Kraus versucht sich auch im Haiku und kann in diesen Dreizeilern ebenfalls Witz und Humor unterbringen. S. 129: zwölf kleine wörter/ wollten gar ein haiku sein/ nachts um drei uhr.

Zwei gelungene lyrische Bände, die im Fall der neuen Sprachminiaturen noch um ausdrucksvolle figurative Grafiken erweitert werden. Der Zeichner und Maler Kurt Giovanni Schönthaler ist ebenfalls gebürtig aus Wiener Neustadt und hat für die Illustration dieses Lyrikbandes sein gewohntes Genre, die Landschaftsmalerei, verlassen und vor allem Figuren geschaffen, die in Auflösung begriffen sind oder jemanden umarmen, der nicht wirklich vorhanden ist. Diese Grafiken aus dem Jahre 2005 stellen einen bildlich gelungenen Ausdruck, der die Sprachminiaturen ergänzt und erweitert, dar.

Eva Riebler in LitGes, etcetera Nr. 37 / Okt. 2009

 


Auf den zweiten Blick
Rudolf Kraus’ Gedichte gegen den „Seelenbrand“
© Die Berliner Literaturkritik, 26.09.06

Rudolf Kraus aus Wien trinkt gerne Bier. Mit ihm persönlich anzustoßen, dürfte deshalb für den Nicht-Wiener schwierig werden. Rudolf Kraus ist aber auch Dichter. So ermöglicht uns wenigstens sein mittlerweile sechster Gedichtband, der bereits im letzten Jahr in der österreichischen Edition Roesner erschienen ist, eine Begegnung – wenn auch in seinen Texten. Das in seiner schlichten Gestaltung ansprechende Buch trägt den Titel „aus der seele brennen“, was neben der Vervielfältigungstechnik akustischen Materials durchaus auch als eine assoziative Programmatik verstanden werden kann, nämlich Sprachderivate wie in einem alkoholischen Destillationsprozess zu gewinnen, um diese dann bei passender Gelegenheit zu sich zu nehmen. Diese kurzen Texte untertitelt Kraus als neue Sprachminiaturen. Das nahe liegende ist der Körper danach – nach dem Brand. Das klingt dann so:



herbes pils



warme weiche frau

lass mich nie mehr aus

lieb mich mehrmals

einmal ist zuwenig

lieb mich mehrmals

und ich werde fallen



Sinnöffnende Natur und dunkler Rock’n Roll

Kraus führt den Leser leitmotivisch und wie im Rausch durch seine Innenwelt: Die 39 neuen Sprachminiaturen und dreizehn dreizeiler werden mit Überschriften wie sod brennen, barocke [reise] metaphern, zornige lieder sowie den zwischen Haiku und anachronistischem Aphorismus stehenden Dreizeilern thematisch gebündelt. Der für den Leser manchmal mit-reisende Versuch sich an der Krausschen Weltsicht – wie unter einem Makroskop – mit zu berauschen, gelingt immer wieder in sinnöffnenden Naturbeschreibungen (alles gute) und im Mitvollzug einer latent durchschimmernden zweiten Leidenschaft des Autors: der Musik der zornigen Einzelkämpfer. Schon das dem Buch vorangestellte Zitat des „Doors“-Sängers Jim Morrison verrät eine Affinität zum mystischen Rock’n Roll, und so entlässt Kraus die Sprachminiaturen gelegentlich aus dem kleingeschriebenen Alp(t)raum eigener Befind-lichkeiten:



light my fire



die tage sind lang

und gefüllt mit schmerzen

wenn der abend beginnt

ist alles vergessen



gestammel

und bammel

tauschen zungenküsse



und keiner schert sich

um ein gebrochenes herz

das wie feuer brennt



Wer hier in der Mitte an Bimmel und Bommel aus der Harald-Schmidt-Show denkt und am Ende Roland Kaisers Schlager „Santa Maria“ flötet, ist auf dem falschen Trip, auch wenn es einem bei so doppelbödig-maritimen Titeln wie wo die scholle bricht schon mal lustig aufstößt: Der welttrunkene Kraus persifliert vor allem das politisch Erhabene (vegetarier!) – jedoch ohne es dabei vollständig zu verlachen. Der vorerst erbrochene Wahrnehmungsstoff wird sozusagen noch einmal runtergewürgt. Allerdings nicht, ohne ihn uns vorher noch einmal genüsslich serviert zu haben.

Dass Karl – pardon, Rudolf Kraus – dabei gelegentlich nur analysierend versucht, Spaß zu verstehen, zeichnet seinen Seelenbrand als einen traditionell österreichschen aus. Mit seinem Heimatland scheint den gelernten Bibliothekar die für dortige Autoren so typische patriotische Hassliebe zu verbinden; ein Verhältnis, zu deren Bewältigung neben den auslösenden wie kompensierenden Rauschmitteln Bier und Rock’n Roll auch die Beschäftigung mit hiesigen Sprachspielern gehört.



schicksal [österreich]



es goethe mir brecht

wäre mir ransmayr nicht passiert

mitterer wahnsinn

jandl mich zu tode

entartmannt



Zwischen Pathos und dicht bewegter Seele

Kraus verdichtet nicht nur hier gern persönlich: Gut ein Fünftel der Sprachminiaturen sind mehr oder weniger bekannten Dichterkollegen gewidmet; viele Texte kreisen um Liebes-beziehungen und deren Schattenseiten, deren Wirkungen in dem Gedichtband nicht zuletzt zu den sparsam eingefügten Buchillustrationen Kurt Giovanni Schönthalers in ein reizvolles Spannungsfeld geraten; Zeichnungen, die anonyme und doch eindeutig menschliche Körper zeigen.

Zu einigen Dingen, Menschen, bereisten Städten und Situationen entwickelt Kraus ein so gelöstes Verhältnis, dass sie – in schaumig vergossener Sprache – zwar schon mal einen rauschhaften Pathos versprühen, dabei aber auch zum intimen Nachtauchen in dicht bewegte Seelengründe einladen:



revolution



sperma im schamhaar

pfui

ahoi

hanoi

hab keine titten

und meine sitten

sind keinen pfad wert



Zugegeben – wer hier schnell mal drüber liest, bekommt ob solcher Schlagreime schon mal kräftig eins auf die lyrische Zwölf. Gleichwohl wird auf den zweiten Blick und eher schamhaft der Zeitgeist der 68er entschleunigt; eine erinnerte Zeit, die Kraus (Jahrgang 61) als einen adoleszierenden Bewusstwerdungsprozess wieder heraufholt. Diese seltsame Entrückung disparater Perspektiven, in der eine subjektive Moralreflexion scheinbar flockig in einen überindividuellen Zusammenhang gewuchtet wird, macht die Gedichttexte zu einer assoziativen Herausforderung – nicht nur für den Miniaturfreund.

In seiner Heterogenität gelingt es Kraus manchmal, das unmittelbar Erlebte sprachlich so weit zu eröffnen, dass sein poetologisches Selbstverständnis selbst zutage tritt; ein Selbstverständnis, dass nach kommunikativer Anwendung schreit: Viele der Gedichte wollen zu ihrer Entfaltung laut gelesen werden. Im beiläufigen Licht manch ironischer Grenzbereiche von Sprache dekantiert sich nicht selten die großstädtische Lebenserfahrung des Wieners:



Minimalphilosophie



manchmal

altklug

nie

neureich



Und auf der nächsten Seite dann sogleich:



Maximalphilosophie



manchmal

glücklich

nie

zufrieden



Gerne möchte man da (ob so ausgeprägter Selbstironie) nickend zustimmen, kann es aber dann doch nicht immer so ganz: Es gibt unter den neuen Sprachminiaturen auch einige Titel, die unter ihrer stopfigen Kandierung die zum Teil vielschichtigen Texturen entstellen (romanze in schwarz) oder – im Umkehrfall – in ihrer Bedeutungsschwere vom Text selbst nicht mehr verdaut werden. Besonders dann, wenn Kraus sich manchmal arg abgedroschener Bilderzitate bedient, wird das im Leser einmal entfachte Feuer schnell wieder gelöscht. Lyrische Klischees wie die immer wieder heraufbeschworene Herzmotivik führen gelegentlich über den assoziativen Trampelpfad direkt in die sprachliche Mumifizierung. In der zur Miniatur gealterten Sprachhülle bleibt dann nur das kritische Zerfallsprodukt übrig – Hornhautlyrik als ein memento mini. Diagnose: Stellenweiser Sprachstillstand durch Verkitschung. Die dreizehn dreizeiler huldigen in ihrem programmatisch hingehuschten Reduktionismus solch einer gepflegten Entsinnung.

Kryptisches wirkt als Synapsenbalsam

Doch das Profane und das Erhabene kuscheln bei Peter – pardon, Rudolf Kraus – gern und häufig miteinander und selbst Kryptisches wirkt im Leser in der Regel als Synapsenbalsam. Einem anscheinend so abgestandenen memento mori-Sujet gewinnt Kraus jedenfalls noch etwas Originäres ab:



friedhof im mai



im schatten

mächtiger kastanienbäume

wo tausend träume ruhen

frierst du immerzu



der zartsüße blütenduft

der lauen maisonne

trägt einen schleier

aus bitteren tränen



für einen moment

ist es ganz still

und die erde

atmet tief



Erfrischend bleibt am Ende, dass dem schon vielerorts beachteten Miniatouristen Rudolf Kraus, dem im Juni für sein enervierendes Gedicht die russische seele [weiblich] der zweite Platz des Joker-Lyrik-Preises der Berliner Literaturkritik zugesprochen wurde, die professionelle Routine eines leicht zu identifizierenden Tones versagt bleibt. Die Heterogenität der Sprachminiaturen ist nicht nur eine Schwäche, sondern wirkt zugleich belebend: Man muss ja, auch wenn’s schmeckt, nicht immer dasselbe trinken – Bier berauscht horizontal und Wien, äh Wein, vertikal: Na dann, Prost!

Von Peer Feldhaus

Peer Feldhaus arbeitet als Literaturkritiker für dieses Online-Magazin in Kiel.

Literaturangaben:
KRAUS; RUDOLF: aus der seele brennen. neue sprachminiaturen. Mit Abb. von Kurt Giovanni Schönthaler. Edition Roesner, Wien 2005. 140 S., 21,90 €.


Berliner Literaturkritik


Rudolf Kraus ist der Captain Kirk unter den Lyrikern: heldisch, stolz, nicht ohne Pathos, hin und wieder den Zeigefinger hebend, gleichwohl auch souverän, von Beginn an melancholisch, zusehends witzig. Und immer meint man, eine ungeweinte Träne zu spüren. Fazit: nicht vulkanisch, sondern menschlich.

Heinrich Steinfest, Schriftsteller (Deutscher Krimipreisträger 2004, 2006)


Kronenzeitung vom 7.12. 2005  

 


 

Neben dem anarchischen Witz und der Belesenheit des Dichters und Bibliothekars bietet Rudolf Kraus auch in seinen neuen "sprachminiaturen" etliche Möglichkeiten und Hinweise zur Wahrnehmungsbefreiung. Wunderbar komprimierte und (selbst)ironische Poeme mit genügend Zwischenräumen für voraussetzungs- und ballastlose, freie Blicke - bei denen ich habe aufpassen müssen, sie vor lauter Genuss nicht allzu schnell zu lesen, da sich unter beinahe all den leicht, wie selbstverständlich daherkommenden Text-Schraffuren gleichsam ja so etwas wie (nichtgeschriebene) Eisberge voller Erfahrungen und Bedeutungen zu tümpeln scheinen.

Georg Pichler in der „Bücherschau  

 


„Gelten Gedichte nicht heutzutage als antiquiert, als geschraubt modern …  dass man sie eher mit Grauen meidet. Stimmt nicht, nicht in diesem Fall, lesen Sie also bitte ruhig weiter:
Der Gedichtband vom Edition Roesner-Verlag wurde mit viel Liebe aus der Taufe gehoben, das erkennt man sogleich beim ersten Griff nach dem Büchlein im 11 cm x 21 cm Format. Der schwarze, feste und geriffelte Karton des Taschenbuchs zeugt von ebenso viel Aufmerksamkeit für das Detail, wie das Transparentpapier zu Beginn, das feste Druckpapier und natürlich „last but not least“ die beigefügten Bilder von Kurt Giovanni Schönthaler.
Die Gedichte und die Bilder gehen eine gelungene Symbiose ein, die eine Kunstform unterstreicht die andere.
 Der überlieferten Vorstellung, dass Gedichte in Reimen, in Versen, in Strophenform, mit Metrum und Kadenzen geschrieben werden/sind, wurde durch die Kunst nach dem 2. Weltkrieg der Nährboden entzogen. Die starren Normen wurden über Bord geworfen, der freie Rhythmus erfunden, das Hauptaugenmerk liegt auf dem Inhalt, auf der Dichte der zu transportierenden Bilder. Auch Kraus folgt dieser Form des Gedichtes und daher weisen seine Gedichte in Summe keine gemeingültige Form auf. Einmal ist ein Gedicht in 3 Verse unterteilt (siehe „wo die scholle bricht“ Seite 13), das nächste Mal ist es ein 5 Zeiler (siehe „schicksal“ Seite 21) usw. Häufig verwendet er das Stylmittel des „Enjambements“ (siehe z.B.: Gedicht auf Seite 13, 17, 21, 31 usw.), als einheitliches Element kann man auch, neben dem Verzicht auf Reimbildung, den Verzicht auf Differenzierung der Groß- und Kleinschreibung anmerken …“

Christel Schweitzer auf Buchkritik.at


 

„rudi wollte dichter sein / schrieb sich bilder von der seele / zwängte sie in ein zeilengerüst / war stets kryptisch / dennoch klar / hing zu sehr am faden / doch die worte sind mal so / kennen kein gefühl“

Diese Sprachminiatur mit dem Titel „wahrheit nr. (II)“ stammt aus dem 1999 erschienen  Band  „ich bin mein treuer killer“. Seither sind vier weitere Bändchen erschienen, aber Kraus ist sich treu geblieben, noch immer sind seine Texte kryptisch und dennoch klar. Seine Bilder sind von der Seele geschrieben und keine erdachten, erfundenen Metaphern, und die Erlösung findet noch immer nicht statt. Schreiben ist keine Therapie, wofür oder wogegen auch immer. Das hat der Autor früh erkannt. Was Schreiben für ihn bedeutet, müsste er selber beantworten. Es könnte sein, dass er die Bilder und Gedanken los werden  muss, um Platz zu schaffen für die nachdrängenden neuen. Er wirft sie von sich, kurz und bündig, keinesfalls achtlos, im Gegenteil, sehr präzis gezielt. Es ist ihnen nicht Zeit und Raum gegeben, um in ein gleichmäßiges Atmen zu gelangen. Sie sind oft wie kurze Atemstöße aus eingeschnürter Brust. Jene Gedichte in diesem neuen Band, in denen er doch in ruhigeren Fluss gerät und hineinschauend und –hörend der Sprachmelodie folgend ein wenig in seinen Bildern  verweilt, nennt er ‚barocke metaphern’. Es ist formal und inhaltlich eine große Ambivalenz in den Texten von Kraus. Er geht  von seinem innersten Ich aus und betrachtet sich gleichzeitig  von außen. Er ist  ironisch. Ironie schafft Distanz. Sie ist der Stachel, mit dem man die eigene Empfindlichkeit verteidigt. Nichts soll zu tragisch oder traurig klingen. Das Gedicht spricht aus und verbirgt. Es darf sein Geheimnis bewahren, das gehört zu seiner Wesensart. Manche seiner Miniaturen ist ein seltsames kleines Rätsel und will es wohl auch sein. Seine ‚dreizehn dreizeiler’ muten wie Spiele an, wie Steinchenwerfen nach zufälligen Zielen. Sie geben keine Antworten, sondern weisen auf offene Fragen hin. Schreiben bedeutet nicht, seiner Gefühlswelt freien Lauf zu lassen, eher sich von ihr zu befreien in ‚zornigen liedern’.  Der Leser kann den inneren, ungenützten Reichtum spüren,  den der streng geraffte Ausdruck ahnen lässt.

 Elisabeth Schawerda im Podium  


„Noch das äußerste Bewusstsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten. Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ (Theodor W. Adorno „Kulturkritik und Gesellschaft“, 1949)

Dieses Zitat von Adorno, das in verkürzt - verfälschter Form mit  „Nach Auschwitz ist kein Gedicht mehr möglich“ wiedergegeben wird, hat die Lyrik-Produktion der Nachkriegsliteratur bis zum heutigen Tag maßgeblich geprägt. Es ist offensichtlich, dass Lyrikerinnen und Lyriker immer mehr an den Rand des Literaturbetriebs gedrängt werden. Diese Schreib-Form scheint noch dazu – auch wenn man Adornos Feststellung nicht teilt - nicht (mehr)  „in Mode“ zu sein. Versuche, vom Rand in das Zentrum der Wahrnehmung zu gelangen, gab und gibt es immer wieder: 

Celan, Bachmann, Jandl, … mit je sehr unterschiedlichen Herangehensweisen. Einen jüngsten Versuch dieser Anstrengung unternimmt nun Rudolf Kraus in seinem Buch „Aus der Seele brennen: neue Sprachminiaturen“ in der Edition Roesner, wobei der Begriff „Sprachminiaturen“ die Texte viel besser beschreibt als die herkömmlichen Kategorien wie „Lyrik“ oder „Gedichte“, werden in ihnen doch vor allem Seelenzustände verschiedenster Art und Weise in dichter Form beschrieben. Von traurig-melancholisch bis heiter-ironisch, also wie im „richtigen“ Leben (und doch „anders“), hat man als Leser die Möglichkeit die Andeutungen weiterzuverfolgen und mit eigenen Erfahrungen zu verbinden:

fehler häufen sich

zug versäumt

zug um zug

 

tag verträumt

tag für tag

 

leben aufgeräumt

leben um leben

 

ausweg aufgezäumt

ausweg für ausweg

 

niemals ausgeträumt

niemals und niemals

„sodbrennen“, „barocke [reise] metaphern“, „zornige lieder“ und „dreizehn dreizeiler“ benennt Rudolf Kraus vier „Kapitel“ oder „Seelenzustände“, in welchen die insgesamt 52 Sprachminiaturen unterteilt sind. In den ersten drei „Zuständen“ wurde mir der Zusammenhang der Texte untereinander beim wiederholten Lesen immer deutlicher, vor allem nachdem ich die Titel nicht mehr mitgelesen habe, so sind für mich die „dreizehn dreizeiler“ am gelungensten: in abstrakten, „locker“ hingeworfenen Bildern entwickelt hierbei Rudolf Kraus einen Mikrokosmos eines (nicht nur literarischen) Ichs, der überzeugt:

 [krawuzi]                                                                                            

 nach mir die sintflut                                                                          dreizehn dreizeiler

dreißig jahre nur geblöckt                                                                fett und satt wie eine stadt

kasperl unter pezis                                                                            sind nun angezählt

  Zusammen mit den drei „Bildminiaturen“ von Kurt Giovanni Schönthaler ist ein schönes Buch entstanden, das den Weg zu seinen Leserinnen und Lesern finden wird.

Thomas Pöltl in Neue Wiener Bücherbriefe


Eine neue Ladung von Sprachminiaturen aus der spitzen Feder des Autors ist in einer bemerkenswert ästhetisch gestalteten Ausgabe erschienen. Eine „Sprachminiatur“ ist hier bereits der Titel, der sowohl in Richtung eines seelischen Feuers als auch als eines Herausbrennens aus der Seele verstanden werden kann. In Weiterentwicklung des sprachsatirischen Tons der vorangegangenen Bände „die satanische ferse“ und „ich bin mein treuer killer“ erwarten uns auch hier Wortspiele mit doppeltem Boden und Reisebilder der anderen Art in den Kapiteln „sodbrennen“, „barocke [reise]metaphern“, „zornige lieder“, sowie „dreizehn dreizeiler“ als ironisch gebrochene Anti-Haiku. Poesie steht in Kraus’ neuem Werk neben Kalauer, (abgespeckte) Romantik neben bitterem Sarkasmus. Besonders die Städte- und Landschaftsbilder ermöglichen neue Sichtweisen auf Vertrautes und oft schon Abgemaltes.

„gänsehautartige trunkenheit / von kafka golem und bier / lenkt meinen scheuen schritt // versteckte tabernakelaugen / werfen geißelnde blicke auf mich / spüre tausend jahre geschichte / auf meinem herzen ruh’n // und schon im nächsten moment / wider jede düsterkeit / pocht das leben an jede tür“ (prager altstadtminiatur) oder

„... / selbst das meer liegt / stöhnend da / glattgestrichen bis zum horizont // alle fragen sind brachgelegt / bis die sonne / hinter den bergen versinkt“ (aus „südwestanatolische miniatur“).

Verweise auf Dichter wie Trakl, Quevedo oder Nazim Hikmet lassen den Leser auch in die literarischen Landschaften des Autors eintreten. Schnoddrig und verzweifelt ist Kraus’ Ton bisweilen in den „zornigen liedern“, die tatsächlich oft wie Rocksongs klingen:

„es ist nicht mehr weit / zum himmel / und die hölle / hat allemal / ein feuerchen für dich frei“

doch auch ein sinnlich-zartbitteres Liebesgedicht ist möglich:

„warme weiche frau / lass mich nie mehr aus / lieb mich mehrmals / einmal ist zu wenig / lieb mich mehrmals / und ich werde fallen“ (herbes pils).

Wie schon in der Vergangenheit setzt sich Kraus wieder mit dem Haiku auseinander, von dem er allerdings nur das Gerüst der Silbenzahl bewahrt und mit spöttischer Skepsis füllt: „zehn hohle haiku / schafft doch keiner auf anhieb / sollte man meinen“. Eine gesonderte Erwähnung sollen hier auch die gelungenen Farbzeichnungen des niederösterreichischen Malers und Grafikers Kurt Giovanni Schönthaler finden, die dem Betrachter und Leser einen weiteren Zugang zu den Texten des Sprachminiaturisten Kraus erlauben.

Wolfgang Ratz in Literarisches Österreich

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