24 Jahre sind viel und reichen in ein sehr jugendliches Alter des 1961 im Sternbild der Waage – “ich herbstfrischlingskind” – geborenen Schriftstellers Rudolf Kraus zurück. Dass uns die extrem kurzen biographischen Angaben in seinem neuesten Lyrikband “die sinne verwildert” ausgerechnet sein Sternbild wissen lassen, könnte als Deutungshinweis betrachtet werden. Eine Waage ist ein Präzisionsgerät, empfindlich, auf winzige Gewichte reagierend, minutiös, und dennoch ein schwankendes Ding, das immer wieder geeicht werden muss, dessen Zweck die Ermittlung der unbekannten Masse eines Objektes ist.
Minutiöse Miniaturen –
Kraus vermeidet ja das Wort “Gedicht” – kurze Zeilen wie metallische
Gewichtlein, mit der Pinzette anzufassen, nicht handgreiflich also, und zum
Schluss ein präzises Ergebnis: dies findet der Leser Seite um Seite vor. Die
delikaten Waagschalen fassen nicht viel an Materie, der Verstand ist ein
scharfer Trancheur, der die Verwilderung der Sinne nur bedingt zulässt: “…
die sinne verwildert / nur das denken bleibt koscher / keine lieder & kein
freudenschrei …”
Japanische Miniaturen, also Haikus – “ich schreibe haiku / bin aber kein japaner / zählen kann ich schon” erwartet man ja geradezu bei diesem Autor, aber nicht aus folgendem Grund: “die quintessenz war / dem dichter nicht gegeben / also schrieb er haiku.” Auch in Tankas erprobt er sich, gießt diszipliniert seine Anliegen in ein strenges Silbenzählwerk. “Das lyrische ich” versteht sich als “… ein dissonanzenkopf / manchmal schräg / und kratzig / … immer wenn ich leide / muß ich lachen”. Der passionierte Lyrikleser, geübt in konzentrierter Offenheit, wird von Rudolf Kraus’ Miniaturen, herausgefordert durch das Balancespiel von Form und Inhalt. Dieses manifestiert sich in einer Sprache, die nach innen glüht und nach außen oft kühl bleibt, aber oft nicht kühl lässt.
Rudolf
Kraus: die sinne verwildert. verstreute miniaturen aus 24 jahren. Edition
Doppelpunkt, Wien, 2000. 63 Seiten, öS 170.
Elisabeth Schawerda im morgen
(...) Kurze Texte, Dreizeiler oft, Fundstücke aus der Schublade, die überraschend auftauchen und erfreuen. Man muss sich nur die Zeit nehmen dazu.
Buchkultur
(...) Rudolf Kraus verwendet eine einfache Sprache, die seine Arbeiten sehr gut zur Geltung bringt. Er legt ein Buch vor, das zum Nachdenken anregt über Befindlichkeiten und Zustände unserer Existenz.
Peter Schaden in Freie Zeit Art
„die sinne verwildert“ schließt beinahe nahtlos an den Vorgängerband (ich bin mein treuer killer) von Rudolf Kraus an. Poetische Schnitte, projiziert in die Landschaft oder in das Innere gerichtet. Die Texte sind zeitgemäß, ohne es sein zu müssen, manchmal schwarz und traurig, dann wieder wie ein bunter Vogel. Eine neue Seite Kraus’ in diesem Band sind die „japanischen miniaturen“, die in der Silbenfolge den klassischen japanischen Nagauta, Tanka und Haiku folgen und dabei äußerst abendländisch-sarkastisch klingen.