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sprachminiaturen über [leben]
und [sterben].
Verlagshaus Hernals, Wien 2014.
80 Seiten; gebunden; Euro 22,90.
ISBN 978-3-902975-07-2.
Tausend Tode könnt’ ich sterben – übersetzt man den Titel ins Englische, „I Could Die A Thousand Times“, könnte dies wohl auch eine Liedzeile aus einem grantigen Bluessongs sein, in dem der Sänger seine Sehnsucht nach seiner durch Eigenverschulden verlorenen Liebe oder nach der Wiedergutmachung eines eigens begangenen Unrechts in die Welt hinausheult. „Lost Woman Bluse“ von Motörhead wäre wohl ein geeigneter Kandidat, um die Atmosphäre musikalisch zu verbildlichen. Zieht man allerdings die optische Gestaltung des Buches mit dem gleich einer Parte umrahmten Schwarz-Weiß-Foto eines Grinzinger Grabengels in die Betrachtung mit ein, so könnte der Titel ebenso Wienerliedstimmung – also den Großstadtblues – verheißen.
Rudolf Kraus wäre aber nicht Rudolf Kraus, würde er diese Erwartungshaltung eins zu eins einlösen. Im Titelgedicht auf Seite 17 stellt der Autor alle Erwartungen daran auf den Kopf: Der einfach gestrickte Paarreim erscheint wie ein Kindergedicht, birgt jedoch explosiven nihilistischen Inhalt. Denn wenn man tausend Tode sterben kann, muss man demnach zuvor auch tausend Leben gelebt haben, in denen man tausend Mal möglicherweise für eine bessere Welt gekämpft hat, tausend Mal vielleicht der Gerechtigkeit gedient hat, tausend Mal eventuell für Respekt dem Lebewesen gegenüber eingetreten ist, tausend Leben, die jedoch nur erfüllt sind von Tadel, der von außen oder oben kommt, dem man ausgeliefert ist, der möglicherweise einer Hierarchie entspringt: „und selbst wenn’s leben chuzpe hätt / ist’s beim heimgang nicht adrett“ (S. 17). Da zerbirst der heitere Kinderreim wie die Champagnerflasche am metallenen Rumpf des Kreuzfahrtschiffs vor der feierlichen Jungfernfahrt geradewegs in die Katastrophe.
In der Tat ist die vorliegende Gedichtsammlung die schwärzeste aus der Feder des Piestingtaler Dichters, dessen „Sprachminiaturen“ (Zitat Kraus) sich jedoch nie so einfach schubladisieren lassen. Denn Kraus versteht es stets in subtiler Weise zu verblüffen und zu überraschen, er spielt mit der Form und konterkariert damit den Inhalt. Diese Gratwanderung zwischen dick aufgetragenem Lamento und beißender Ironie beschreitet er mit schelmischem Witz und schließt sich dabei selbst niemals aus.
Rudolf Kraus bedient sich dabei immer wieder einer kindlichen Trotzhaltung und erhebt sie zum Stilmittel. Dies gelingt auch deshalb so exzellent, weil er sich als Mensch das Kind in ihm mit all seinen noch unausgegorenen Ansichten, die es ihm auch erlauben, fehlbar zu sein, erhalten hat. „baden in der scheiße / die du angerichtet hast / baden in der scheiße / baden in der scheiße“ lautet das Gedicht auf Seite 10, betitelt mit „sensibel wie der teufel“. Man könnte dies durchaus auch als Selbstgeißelung lesen – doch wem gegenüber? Es ist dies eine kindliche Verlorenheit, die aus den Gedichten und auch aus ihrer Form spricht, die Machtlosigkeit des Kindes, das daran scheitert, mit all den Unbilden des Lebens und auch des Todes zurande zu kommen.
„ich hasse das leben“, lautet der Titel eines Gedichts ein paar Seiten weiter, „für all das / was es nicht für mich getan hat / und all das / was es weiterhin / verweigern wird / bei aller liebe zur melancholie“, und schon wähnt man sich in der Midlifecrisis eines verzagten und gekränkten Mannes. – Doch kommt der Mann schnell zur Vernunft: „mein gott / gottlos / unsterblich sein / ist auch kein / ziel“. Kraus verwendet stets eine schlichte Sprache, ist ein Freund der einfachen Begriffe, der auch mit Nonchalance flüchtige Mundartbegriffe in die Texte webt: „jessasna muchachos / überleben“ endet das Gedicht „tot wie gott“ auf Seite 15. Kraus nennt die Dinge eben ganz simpel beim Namen und erscheint so streckenweise der Banalität verhaftet, doch versteht er es meisterhaft, in seinen Texten doppelte Bedeutungsebenen zu eröffnen. Zudem ergeben sich immer wieder feine Wortkreationen wie „Wachtraumtorso“ oder „Seelenschrammen“ oder einprägsame Bilder wie etwa in „schlaflos“ auf Seite 18: „diese nächte“, schreibt Kraus, in denen die Gedanken den Schlaf auspeitschen, seien wie ein halbwüchsiger Tod – somit frech, nicht beherrschbar, aber auch nicht zu vermeiden, wie ein Halbwüchsiger eben, dem man nichts antun kann, der im Wissen darum jedoch auch nicht aufgibt und zur Vernunft kommt.
Der Band ist in fünf Kapitel gegliedert („memento mori“, „ars moriendi / ars vivendi“, „sieben haiku“, „wiener melange“ und „fundstücke / stückwerk“), wobei Kraus sieben Haiku ins Zentrum stellt. Auch in diesen Dreizeilern streckt Kraus dem Tod mild lächelnd seine Faust entgegen: „nicht nur im herbst folgt / begräbnis auf begräbnis / der tod stirbt nicht aus“, heißt es etwa auf Seite 47.
Es sind freche Gedichte, die Rudolf Kraus in dem gegenständlichen Band versammelt, die – Zitat „geradeheraus“, Seite 59 – zwar nicht stetig, aber wenn, dann weit über den Durst hinaus trinken: „ganz verwegen / sind sie dann / legen sich mit jedem an / selbst wenn es / der teufel / persönlich ist“. Verwegen sind sie allemal, die Gedichte von Kraus, und auch trotzig – wie die schweren Gitarrenriffs im rotzigen Blues.
Armin
Baumgartner
3. Dezember 2014
Literarisches Österreich 2015/1
GEGENWARTSLITERATUR
2318
tausend
tode könnt' ich sterben
Sprachminiaturen
sind treffsichere abgerundete Fügungen, die sich wie Gebilde mit Widerhaken
auf dem Filz des Alltags festsetzen.
Rudolf
Kraus setzt mit dieser feinen additiven Methode, wo überraschende Wendungen
wie Magnetsteine auf die Fläche gesetzt werden, durchaus großen Themen zu
wie dem Tod. Nicht nur das nicht Voraussehbare, „wie wird denn wohl mein Tod
ausschauen?“, spielt eine Rolle, sondern manche Ereignisse spitzen sich
schon zu Lebzeiten so dramatisch zu, dass ihnen der Tod den Deckel drauf
setzen muss. So kümmern sich die Sprachminiaturen nicht nur um die Ars
moriendi, die Kunst des Sterbens, sondern mindestens so heftig um die Ars
vivendi, die Kunst des Lebens.
Das
eigene Leben, das Lesen und Schreiben der Dichter, die abgehangenen Gedanken
in den Regalen sind Koordinaten, an denen die Miniaturen andocken. „ostwärts
// wenn sie alt werden / die dichter / wendet sich ihr blick / gegen osten /
wie wenn / dort / die vergangenheit / zu hause wär / oder / eine
ausgestorbene rabenart / väterchen frost und / vielleicht / sogar der tod“
(13) „in jedem regal / der bibliothek bücher / nur das eine nicht“ (53)
Oft
ist es ein frühlingshafter Überschwang, der die Gedanken geradezu
hinausschickt ins frisch erweckte Leben, jung und wild zu jeder
Gedankenrauferei bereit. „geradeheraus // meine gedichte / trinken nicht
stetig / doch wenn / dann weit / über den durst hinaus // ganz verwegen /
sind sie dann / und legen sich mit jedem an / selbst wenn es / der teufel /
persönlich ist“ (59)
Dann
ist es die Klage des Alltags, wenn die Depression sich ungefragt an den Frühstückstisch
setzt. „als ich zu weinen wagte // immerzu dachte ich / an die entbehrungen
/ enthaltungen und / enttäuschungen / meiner kindheit / ohne zu merken / dass
es / eigentlich / die beste zeit meines lebens war“ (9)
Rudolf
Kraus hat seinen Miniaturen Texträume zugewiesen, worin sie miteinander
kommunizieren, ehe sie dem Leser als lyrischer Disput gegenübertreten -
„memento mori | ars moriendi / ars vivendi | sieben haiku | wiener melange |
fundstücke / stückwerk“.
In
seinem Nachwort erklärt Armin Baumgartner, was für ihn diese Lyrik
unverwechselbar macht. „Ich mag das Spielerische, den manchmal naiven,
kindlichen Zugang, die einfachen Wörter, die, richtig gesetzt, vielleicht
auch erst im Nachhall eine wuchtige Bedeutung erlangen, ich mag das schlicht
Verwobene, das mich über Umwege zu neuen Erkenntnissen führt.“ (75)
Rudolf
Kraus: tausend
tode könnt' ich sterben. sprachminiaturen. über [leben] und [sterben]. Mit
einem Nachwort von Armin Baumgartner.
Wien:
Verlagshaus Hernals 2014. 79 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-902975-07-2.
Rudolf
Kraus, geb. 1961 in Bad Fischau, lebt in Wien.
Helmuth
Schönauer 04/12/14
Rudolf Kraus: tausend tode könnt ich sterben. Verlagshaus Hernals, Wien, 2014
mit dem unterschiedlichsten Gefühlsregungen ein. Was ihnen gemeinsam ist, ist ihre Kürze und wie Armin Baumgartner in seinem Nachwort schreibt - :
„...ich will lieben und weinen und staunen und schmunzeln, will mich wundern können, will sterben und leben.“ Baumgartner antwortet auf die fiktive Frage, welche Eigenschaften eines Texte ihn faszinieren würden.
Und er beendet sein Nachwort dergestalt: „Die Antwort findet sich auch in diesem Buch.“